Zurück

Tanz auf semiotischer Ebene

Kritik an Performance-Projekt SCHHLTTLR/VKTRN_txt_fetzen_

Han Yan

Zeit: 4. Oktober 2015, 19:30 Uhr
Ort: schwere reiter / Dachauer Straße 114, 80636 München

Dunkler Raum, leuchtende Neonröhren, komische Wortfetzen, in Schwarz gekleidete Tänzer. Das war mein erster Eindruck von SCHHLTTLR/VKTRN_txt_fetzen_, eine Performance, die von Mirko Hecktor, Daniel Kluge und Andreas Neumeister entwickelt wurde.

Was ist eine menschliche Bewegung? Wie kann man sie interpretieren? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Beiden? Warum verbindet man Tanz mit Wortfetzen? Wie erschaffen wir eine Gesellschaft via Kommunikation? Solche Fragen stehen im Zentrum der Performance. Vor meinen Augen entfaltete sich eine abstrakte Art des Tanzes, trotzdem geht dabei die Anschaulichkeit nicht verloren.

In einer Szene bauten vier Tänzer mit Neonlicht ein Gittermodell des Körpers auf, das sich bewegt, winkt und zerfällt (Abb. 1). Eine sehr abstrakte menschliche Bewegung ergibt sich durch das von Merce Cunningham eingeführte motion capturing-Verfahren, eine Tracking-Methode, mit der menschliche Bewegungen ergriffen und in ein von Computern erkennbares Format umgewandelt werden können (Abb. 3). In den meisten Szenen sprachen die Akteure die Wortfetzen mit bestimmten Gesten (Abb.2). Auf semiotischer Ebene ähneln die Zeichen der Sprache. Wie die Sprache mit oder gegen Gesten eingesetzt werden kann, ist einer der spannenden Punkte der Performance.

Eine Geste oder ein Wortfetzen, wie ein Baum, ist ein Zeichenkörper. Wie man sie interpretiert, ist die Semiose, ein Vorgang, in dem etwas als Zeichen fungiert und unterschiedliche Komponenten, nämlich die äußere Zeichengestalt, das materielle Objekt und die Bedeutung des Zeichens, miteinander in Beziehung stehen. In diesem Prozess gibt es viele Möglichkeiten. Beispielsweise in Andreas Neumeisters beigetragenem Text steht DAF für Deutsche Amerikanische Freundschaft oder Deutsch als Fremdsprache, BDM für Bundesverband Deutscher Milchviehhalter oder Bund Deutscher Mädchen… Diese Vielfältigkeit der Interpretation ist abhängig von den unterschiedlichen Kontexten oder von der Kommunikation, die in der Performance durch die Interface-Kostüme verkörpert wird. Die Kostüme der Tänzer sind verkabelt und dann an einem Computer-System mit Funkschaltungen angeschlossen. Durch Samplerpads am Körper der Tänzer werden die Sätze oder Wortfetzen ausgelöst, damit sich ein soziales Netzwerk bildet.

Zum einem konkretisiert der Interface-Prozess die Kommunikation auf technischer Ebene, zum anderen verkörpert er die intertextuellen Bezüge: Ein Zeichen, wie eine Geste, ein Wortfetzen oder ein Buchstabe, bewegt sich immer zwischen Zeichenkörpern, Rezipienten und kulturellem Kontext. Semiotik ist kein geschlossenes System. Ein Zeichen, ein Tanz können mehrere Möglichkeiten haben. SCHHLTTLR/VKTRN_txt_fetzen_ befreit die Bedeutung menschlicher Bewegung und zeigt die Zukunft des Tanzes.

Abb.1 Performance-Ansicht, schwere reiter, 2015
Abb. 2 Performance-Ansicht, schwere reiter, 2015
Abb.3 Performance-Ansicht, schwere reiter, 2015
Abb.4 Performance-Ansicht , schwere reiter, 2015

de_DEDE